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Wissens-Quickie: So sehen Pferde die Welt
Wie sieht ein Pferd die Welt? Können Pferde Farben sehen? Wie sehen Pferde im Dunkeln? In unserer neuen Rubrik „Wissens-Quickie“ beleuchten wir in diesem Blogbeitrag den Sehsinn des Pferdes und verraten euch, was ihr mit diesem Wissen im Umgang mit eurem Pferd beachten solltet.
Habt ihr euch auch schon gefragt, wie ein Pferd seine Umwelt mit seinen Augen wahrnimmt? Es gibt ein paar grundlegende Fakten über das Sehen des Pferdes, die jeder Reiter und Pferdehalter wissen sollte. Denn Pferde sehen ganz anders als wir Menschen. So haben Pferde im Gegensatz zum Menschen weit auseinanderliegende Augen. Ein Auge liegt gewissermaßen auf jeder Kopfseite. Das bedeutet zum einen, dass Pferde einen viel größeren Sehradius besitzen als wir Menschen mit unseren eng beieinanderliegenden und eher kleinen Augen. Pferde besitzen beinah einen Rund-um-Blick. Einzig Objekte, die sich direkt hinter ihnen oder sehr nah am eigenen Körper befinden (z.B. Reiterbeine, Gerte), können sie nicht sehen. Zum anderen bedeutet die weit auseinanderliegende Position der Pferdeaugen, dass der Bereich, in dem Pferde ihre Umwelt mit beiden Augen gleichzeitig wahrnehmen und damit räumlich sehen, halb so klein ist als beim Menschen. Der Bereich, in dem jedes Auge unabhängig von dem anderen Auge sieht, ist insgesamt am größten.
Evolutionsbiologisch ergeben diese Seheigenschaften des Pferdes einen Sinn: Als Flucht- und Steppentier ist es für Pferde überlebenswichtig, eine größtmögliche Rund-um-Sicht zu haben, um Feinde schnell erkennen zu können ohne dabei Kopf oder Körper viel bewegen zu müssen. Räumliches und auch scharfes Sehen hingegen sind weniger relevant. Es kommt eher darauf an, feindliche Bewegungen von angreifenden Raubtieren schnellstmöglich zu erkennen als stehende, gefahrlose Objekte bestmöglich zu fokussieren. Vor diesem Hintergrund benötigen Pferdeaugen auch mehr Zeit zur Fokussierung von Gegenständen. Das „Scharfstellen“ mit dem Auge können wir Menschen schneller und besser, denn es spielt für Pferde als Fluchttier einfach eine geringere Rolle.
Feinde lauern natürlich auch in der Nacht, wenn es dunkel ist. So haben uns Pferde im Dunkeln wieder einiges voraus, denn sie können bei wenig Lichteinfall viel besser sehen als wir. Pferde verfügen wie Katzen über Reflektoren hinter der Netzhaut, die einfallendes Licht verstärken. Eine Einschränkung gibt es jedoch: Beim schnellen Wechsel zwischen Hell und Dunkel ist die Adaptionszeit, d.h. die Gewöhnungszeit des Auges an die neuen Lichtverhältnisse, geringer als beim Menschen. Beim Fokussieren und „Hell-Dunkel-Sehen“ ist das Pferdeauge träge.
Und können Pferde Farben sehen? Die Frage kann man mit einem eindeutigen „Jein“ beantworten. Wenn man von einer Sehschwäche reden will, so könnte man sagen, dass Pferde eine Orange-Rot-Schwäche haben. Wissenschaftler gehen davon aus, dass aufgrund bestimmter fehlender Rezeptoren im Auge, die für das Farbsehen zuständig sind, Pferde die Welt ohne die Farben Rot/Orange wahrnehmen. Blau, Gelb und Grün hingegen können sie dagegen sehr gut sehen.
Pferde sehen anders als Menschen - Was heißt das für den Umgang mit eurem Pferd?
Beim Umgang – Der richtige „Augen“kontakt
Wir Menschen sind in der Tierwelt eindeutig Raubtiere – dafür sprechen auch unsere kleinen, fokussierenden, eng beieinanderliegenden Augen vorne am Kopf. Um ein Vertrauensverhältnis zum Pferd aufzubauen, sollte man sich dem Pferd nicht mit direktem Augenkontakt nähern. Denn das ist genau das, was ein angreifendes Raubtier machen würde.
Auch wenn Pferde einen sehr großen Sehradius besitzen, gibt es Schattenbereiche direkt am Pferdekörper und um die Hinterhand, in denen sie nichts sehen können. Wenn ihr z.B. beim Putzen oder beim Satteln die Pferdeseite um die Hinterhand herum wechselt, dann achtet darauf, dass das Pferd euch dabei stets wahrnehmen kann. Das kann entweder mit Hilfe eurer Stimme passieren oder ihr behaltet Körperkontakt zum Pferd und streicht beim Seitenwechsel sanft mit der Hand über den Pferdekörper, während ihr die Seite wechselt. So verliert euch euer Pferd nicht „aus den Augen“.
Beim Training – Immer beide Körperseiten berücksichtigen
Der Fakt, dass Pferdeaugen größtenteils unabhängig voneinander ihre Umwelt wahrnehmen, sollte unbedingt beim Pferdetraining beachtet werden. Geht man noch einen Schritt weiter, so vermuten Wissenschaftler bereits seit längerer Zeit, dass die Gehirnhälften des Pferdes viel weniger miteinander kommunizieren als es beim Menschen der Fall ist. Jede Gehirnhälfte arbeitet quasi für sich und so ist es - vereinfacht ausgedrückt - auch mit der sehenden Wahrnehmung, die größtenteils unabhängig auf jeder Körperseite passiert. Im Alltag kann es euch begegnen, dass ein Pferd einen Gegenstand oder eine Bewegung an der rechten Körperseite als Gefahr wahrnimmt und entsprechend reagiert. Hat es die Gefahrenquelle dann als harmlos eingestuft (Achtung: gebt dem Pferdeauge Zeit zum Fokussieren!) und geht danach auf der anderen Hand daran vorbei, kann es sein, dass das Pferd erneut reagiert. Die rechte Pferdegehirnhälfte gibt die Information „Objekt auf der rechten Seite ist ungefährlich“ schlicht und einfach nicht an die linke Hälfte weiter. Jedes Pferd sollte demnach die Chance kriegen, eine mögliche Gefahrenquelle mit beiden Augen betrachten und bewerten zu dürfen. Darauf solltet ihr sowohl in der Bahn als auch im Gelände achten.
Beim Gelassenheitstraining ist es dann auch wichtig, den Gegenstand, an den ihr euer Pferd gewöhnen wollt (Plane, Regenschirm, Plastikbeutel, etc.) von beiden Körperseiten behutsam an euer Pferd heranzuführen. Nur so trainiert ihr Gelassenheit pferdegerecht und umfassend!
Beim Reiten – Blindes Vertrauen
Als Reiter sieht uns das Pferd auf seinem Rücken nicht. Hinzu kommt, dass ihr beim Reiten auf dem Körperteil des Pferdes sitzt, auf dem in freier Natur nur Raubtiere springen würden um anzugreifen. Wann immer ihr in einen Sattel steigt, solltet ihr euch bewusst machen, welch ein großes Vertrauensbekenntnis des Pferdes es ist, einen Sattel und Reiter auf seinem Rücken zu akzeptieren! Beim Reiten schließlich „sieht“ euch das Pferd mit anderen Sinnen: es spürt feinste Bewegungen, eure Hilfengebung, Gewichtsverlagerungen und euren Händedruck am Zügel. Wenn ihr einmal spüren wollt, wie sich „blindes Vertrauen“ anfühlt, dann schnappt euch einen Strick, Seil oder Zügel, nehmt es in der Mitte in beide Hände, stellt einen Freund hinter euch auf, der die Zügelenden aufnimmt. Nun soll euer „Reiter“ hinter euch euch nur mit Hilfe der Zügel durch die Gegend führen. Wie fühlt sich das an?
Beim Verladen – Lichtverhältnisse beachten!
Bei verändernden Lichtverhältnissen von Dunkel zu Hell braucht das Pferd länger als wir Menschen, um sich an das neue Licht zu gewöhnen. Das solltet ihr auf alle Fälle beachten, wenn ihr z.B. euer Pferd aus dem Stall oder der Box ins Freie führt. Auch auf Reitplätzen, die Sonne und Schatten gleichzeitig aufweisen, ist dieser Fakt zu beachten. Aber auch umgekehrt – von Hell zu Dunkel – braucht das Pferdeauge immer mehr Adaptionszeit als wir Menschen. In welcher Situation könnte das insbesondere wichtig sein? Denkt einmal an das Verladen auf den Pferdehänger, in dem es dunkler sein kann als außerhalb des Hängers. Macht es also im Hänger so hell wie möglich, indem ihr alle vorhandenen Türen und Fenster öffnet, den Hänger auch sauber haltet und generell einen Hänger mit hellem Innenraum leiht oder kauft. Beim Thema Verladen und Pferdehänger ist eines aber noch viel wichtiger: das Pferd behutsam und mit viel Geduld an die Verlade- und Hängersituation zu gewöhnen. Zeit ist hier das A und O, nicht nur, weil das Pferdeauge davon mehr zur Gewöhnung an veränderte Lichtverhältnisse benötigt!
Sonder-Wissen: Blinder Knabstrupper Hugin von Bent Banderup
Auch unter Pferden gibt es unfall- oder geburtsbedingt Blindheit. Während ein Pferd ohne Sehvermögen in der Natur kaum Überlebenschance hätte, muss diese Behinderung in den Händen eines erfahrenen Pferdehalters keine Einschränkung für das Pferd bedeuten. Eines der bekanntesten blinden Pferde lebte bis 2015 in Dänemark bei dem bekannten klassischen Trainer Bent Banderup. Sein Knabstrupper Hugin verlor bei einem Unfall sein Augenlicht und war 15 Jahre seines Lebens ohne Sehvermögen. Bent Banderup bildete ihn bis hin zu S-Lektionen aus. Auf der Webseite von Bent Banderup schreibt er über seinen Hengst, der 2015 im Alter von 29 Jahren verstarb: „Through Hugin, I learned to use the Dressage for the Horse instead of using the Horse for the Dressage.“